Manchmal beginnt eine Reise mit einem Ticket, das mehr verspricht als bloße Fortbewegung. Unser Startpunkt: Budapest, Busbahnhof Népliget. Von hier aus, mit dem Flixbus, geht es Richtung Süden – auf den Spuren eines Architekten, dessen Denkmäler mehr Fragen stellen, als sie Antworten geben. Bogdan Bogdanović, ein Name, der in den Landschaften des ehemaligen Jugoslawien Steine zum Sprechen bringt.

Budapest – Novi sad – Belgrad – Pristina

In Serbien gibt es seit November 2024 anhaltende Massenproteste, die sich vor allem gegen Korruption, Machtmissbrauch und den autoritären Regierungsstil von Präsident Aleksandar Vučić richten. Auslöser war der Einsturz des neu gebauten Bahnhofs in Novi Sad am 1. November 2024, bei dem 15 Menschen starben – ein Ereignis, das auf Baumängel und mutmaßliche Korruption zurückgeführt wird.

Die Proteste begannen als studentische Bewegung, weiteten sich aber rasch auf breite Teile der Bevölkerung aus. Sie fordern Rechtsstaatlichkeit, Transparenz, die Bekämpfung von Korruption und die Haftung verantwortlicher Politiker. Am 15. März 2025 fanden in Belgrad die größten Demonstrationen in der Geschichte Serbiens statt, mit Schätzungen von mehreren hunderttausend Teilnehmern – etwa ein Zehntel der Bevölkerung.

Die Bewegung bleibt bewusst unpolitisch und vereint Menschen aus allen gesellschaftlichen Schichten. Präsident Vučić steht unter massivem Druck; seine Zustimmungswerte sind stark gesunken, und mehrere Regierungsmitglieder mussten zurücktreten. Die Proteste markieren einen Wendepunkt und könnten zu einem demokratischen Neuanfang führen, auch wenn unklar ist, ob die Forderungen tatsächlich umgesetzt werden.


Die Einfahrt nach Belgrad ist unspektakulär. Der neue Busbahnhof: rieisig, grauer Beton, guten Espresso gibt es im neuen Café, geschäftiges Kommen und Gehen. Für Thomas Lammer, Klaus Theuretzbacher und mich  nur Umsteigen, Tickets prüfen, weiter nach Pristina. Die Landschaft zieht vorbei, Felder, Hügel, Grenzposten. Zum Kosovo hin werden die Straßen immer schlechter, offensichtlich liegt der serbischen Republik nichts an guten Verbindungen. Das „Ziel ist im Weg“ könnte man fast denken.

Mitrovica: Beton, Kupfer, Erinnerung

Pristina macht den Eindruck, dass Amerika das große Vorbild ist und empfängt uns mit einer Mischung aus Aufbruch und Stillstand. Am nächsten Tag geht es nach Mitrovica, auf den Partisanenhügel. Dort steht das „Monument to Fallen Miners“ – ein 19 Meter hoher Trilith aus Beton und Kupfer, entworfen von Bogdanović im Jahr 1973. Das Monument wirkt wie ein Relikt aus einer anderen Zeit: monumental, aber nicht triumphal, verwittert, von Wind und Regen gezeichnet. Die Symbolik bleibt offen – ein Portal, ein Tor, vielleicht auch ein Mahnmal für das, was nicht mehr ist. Die Stadt selbst, geteilt zwischen Nord und Süd, spiegelt die Zerrissenheit der Region wider. In der Stadtmitte am Fluss bewacht KFOR und internationale Polizei die Brücke zwischen serbischer Nord- und albanischer Südstadt um die Ruhe in der Stadt zu sichern.

Berane: Der Kegel von Jasikovac

Verwunschen heißt das Gebirge zwischen Kosovo und Montenegro. Es scheint kein Zufall, dass sich ein mystisches Freiheitsdenkmal genau dort  auf einer Waldlichtung bei Berane findet. Auf einer Lichtung über der Stadt ragt der „Monument to Freedom“ – ein 18 Meter hoher Kegel aus Sandstein und Gabbro – in den Himmel. Der Ort wirkt wie gesagt verwunschen, das Monument wirkt wie ein Fingerzeig, ein Zeichen für Freiheit, das sich nicht vereinnahmen lässt. Die Inschriften sind mystische Zeichen, aber die Präsenz des Bauwerks bleibt ungebrochen.

Štip: Die Nekropole der Partisanen

Weiter nach Štip in Nordmazedonien. Die „Partisan’s Necropolis“: Weiße Marmorblöcke, zwei Meter hoch, in die Landschaft gesetzt. Ein Ort, der sich der Eindeutigkeit verweigert. Die Denkmäler wirken wie archaische Steine, Relikte eines verlorenen Rituals.

Prilep: Die Unbesiegten

Tanzende Frauen ist der erste Gedanke, wenn man die weißen Steinfiguren über der mazedonischen Stadt Prilep entdeckt. Als Teil des Denkmals an die Partisanen der Region stehen sie dem symbolischen Grabhügel als lebenslustiges Symbol auf einem Tanzboden gegenüber. Acht monolithische Steine, drei bis fünf Meter hoch, aus weißem Marmor. Die Anlage ist gepflegt, der Park still. Die Steine erzählen von Widerstand, von Hoffnung, von einer Vergangenheit, die nicht vergeht. Hier wird klar: Bogdanovićs Denkmäler sind keine Orte des Schreckens, sondern Räume für das Leben. Sie laden ein zum Verweilen, Nachdenken, Spielen.

Popina: Der Park der Gefallenen

Letzte Station: Popina in Serbien. Im „Monument Park“ stehen drei gewaltige Monolithen, bis zu zwanzig Meter hoch, gebaut aus den Grundformen Kreis, Dreieck und Quadrat, eingebettet in einen großen Park. Mit den geometrischen Grundformen baute Bogdanovic in Popinas Landschaft ein rhythmisch gestaltetes Kunstwerk, sein Alterswerk und letztes Denkmal.

Wer war Bogdan Bogdanović?

Bogdanović, Architekt, Literat, Dissident, Bürgermeister von Belgrad. Ein Querdenker, der sich den Dogmen der sozialistischen Moderne entzog. Seine Denkmäler sind keine Heldenaltäre, sondern poetische Orte, offen für Interpretation und Aneignung. Im Interview beschreibt er, wie er sich von der belehrenden Monumentalität abwandte und stattdessen mit Formen spielte – auf der Suche nach einer offenen, lebendigen Symbolik, die nicht fixiert, sondern zum Nachdenken anregt.

„Was du darin siehst, das ist das, was zählt.“ – Bogdan Bogdanović

Diese Reise war keine Pilgerfahrt zu steinernen Wahrheiten, sondern ein tastendes Annähern an die Vieldeutigkeit der Erinnerung. Die Denkmäler Bogdanovićs bleiben rätselhaft, sperrig, schön – wie die Landschaften, in denen sie stehen. Sie fordern uns heraus, die eigene Geschichte zu befragen und das Offene auszuhalten. Am Ende bleibt das Gefühl, dass Erinnerung kein abgeschlossenes Kapitel, sondern ein fortwährender Dialog ist.

Das Reisetagebuch findet sich hier.

 

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