An einem verregneten Sonntag in Steyr fällt mir am Haus Mittere Gasse 18 eine dunkle Erinnerungstafel auf.

Wer war diese „Heimatdichterin“ und wie „wirkte“ sie hier. Hilfreich – wie immer – führte mich Kurt Rossachers Digital-Archiv auf einige Spuren, Nachbarn in der Mitteren Gasse ergänzten.

Diese Christkindl-Sage, einer der bekannteren Texte Zelenkas, schrieb unsere Dichterin 1946. 13 Jahre später ist es die Weihnachtsgeschichte im Steyr Geschäfts- und Unterhaltungskalender.

Seit ihren Jugendjahren verfasste sie – angeblich beeinflusst durch Gregor Goldbacher, Sepp Stöger und Karl Mayer-Freinberg Gedichte – die aber lange weitgehend unbekannt bleiben sollten. Nach dem Zweiten Weltkrieg erschienen einzelne Werke unter anderem im Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender. Zelenka trat vermehrt bei Lesungen auf[i].  1957 dann ein Buch: Einige der Mundartgedichte wurden unter dem Titel „Feierab’nd – Gedanka“ veröffentlicht. Emil Münzberg (Chordirektor in Steyr) vertonte ein paar der Werke[ii].

Aufgrund der „regen Nachfrage“ erschien 1958 eine erweiterte zweite Auflage mit einer Porträtzeichnung der Künstlerin unter dem Doppelnamen Anna Zelenka-Ernst.

Die Zeichnung stammt – das sei nebenbei angemerkt – vom Steyrer „Frauenverehrer“, Kunstbetrüger, Nationalsozialisten und laisierten Pater Dr. Petrus Mayrhofer.

Zu ihrem 70. Geburtstag wurde Anna Zelenka nicht nur medial sondern auch in einem Festakt des Steyrer Kulturamtes mit dem Stelzhamerbund öffentlich geehrt.[iii]

Etwas weniger euphorisch fällt die Kritik des Schriftstellers und Literaturkritikers Johannes Hauer aus: „Anna Zelenka … die gutmütige Plauderin über alles, was uns den lieben Tag so begegnet und uns ein mühevolles Jahr hindurch bewegt“[iv].


Aber Anna Zelenka war viel mehr als Schriftstellerin und Steyrer „Original“[v]. Ab 1919 betrieb sie in der Mittere Gasse 18 eine „Privatküche mit Kochschule“[vi] oder auch „Speisehaus“[vii] bzw. „Ausspeiserei“, in der „alltäglich viele Gäste, hauptsächlich alleinstehende Damen und Herren der Stadt mit gutem Essen versorgt wurden“[viii].

In der Zwischenkriegszeit gab es in der Eisenstadt, wie der Steyr Kalender berichtet, vier solche „Auspeisereien“ oder „Auskochereien“[ix], in denen laut Erlaubnis bzw. Konzessionsurkunde hauptsächlich nur Speisen ohne Fassbierausschank verabreicht  wurden.

1958, mit Erscheinen der zweiten Auflage ihres Gedichtbandes und im 67 Lebensjahr, schloss Anna Zelenka ihren Betrieb endgültig. Bis dahin unterwies sie – da die Gastwirtschaft gleichzeitig eine Kochschule war – mehr als „500 Mädchen in der Kunst des Kochens und Backens“.[x] Heute ließe sich das mit einer Produktionsschule, wie sie das BFI OÖ im Wehrgraben betreibt, vergleichen. Junge Menschen lernen an „richtigen“ Arbeitsaufträgen berufliche Qualifikationen und erleben, dass den Gästen „ihr“ Essen schmeckt.

Bereits 1944 wurde sie dafür von der Deutschen Arbeitsfront ausgezeichnet[xi], kam aber später mit den Nationalsozialisten in Konflikt, weil sie – so wird das heute in der Nachbarschaft erzählt – durch das Fenster ihrer Ausspeiserei Jüdinnen und Juden, die durch die Mittere Gasse getrieben wurden, Essen zusteckte. Vermutlich war dies beim „Todesmarsch ungarischer Juden“, der „…über die Redtenbacherstraße zur Wehrgrabengasse, Direktionsstraße, Wieserfeldplatz, Gleinkergasse und Artilleriestraße zum Exerzierplatz beim Stadtgut in Dornach“ führte.

Die Mittere Gasse 18 war zwar zeitweilig – jedenfalls 1927 – auch Wohnsitz Zelenkas, aber sie war nie Eigentümerin. Das Haus gehörte von 1891 bis in die 1960er Jahre dem Schuhmacher Theodor Ramp und dessen Familie[xii]. Im Jahrhundert davor arbeiteten hier Messerschmiede.


Manche RezensentInnen behaupten, Anna Zelenkas Schaffen und ihre Texte seien von der Tragik ihres persönlichen Lebens inspiriert. Darum ein Blick auf diese Seite der Dichterin.

Anna Zelenka wurde am 24. Juni 1891 als Anna Maria Ernst (Vater Johann Ernst; Mutter Franziska Ernst geb. Rathmoser) im Steyrer Aichet Nr. 495 (heute: Sierningerstraße 116) geboren und vier Tage später in Gleink getauft.

Vermutlich anlässlich des Todes ihres ersten Ehemanns im November 1913 wurde im Gleinker Taufbuch aber angemerkt, dass ihr richtiger Familienname bei der Geburt Thurner gewesen wäre, weil ihr Vater (geboren am 18. Jänner 1852 in Steyr) der legitimierter Sohn des Josef Thurner und der Theresia Ernst war. Somit sei der großväterliche Name Thurner der korrekte und der großmütterliche Name Ernst der falsche.

Es kann Anna Zelenka späteres feministisches Bewusstsein unterstellt werden, da sie sich in ihrem Buch „Feierab’nd – Gedanka“, zumindest in der zweiten Auflage (1958), den Namen Anna Zelenka-Ernst gab und sich so in die weibliche Tradition ihrer Familie stellte.

Aber zurück zu Annas Jugend: Sie war 1912 Köchin in Micheldorf und heiratete dort am 29. September den Sensenschmied Karl Pöllhuber. Wenige Monate später kam der gemeinsame Sohn Karl Joseph zur Welt, dessen Enkel heute in Steyr lebt. Noch im selben Jahr wurde sie erstmals Witwe, ihr Karl verstarb an Lungentuberkulose.

Die alleinerziehende Mutter zog wieder nach Steyr und eröffnete sechs Jahre später Kochschule und Ausspeiserei in Steyrdorf (siehe oben).

Im April 1927  heiratete Anna Pöllhuber den Schneidermeister Johann Zelenka aus der Sierningerstraße 33 und kam so zu dem Namen, unter dem sie als Heimatdichterin bekannt wurde.

Johann verunglückte 1949 bei einem Autounfall[xiii]. Anna wurde zum zweiten Mal Witwe und trat in den Jahren danach als Literatin öffentlich in Erscheinung.

Frau Zelenka verstarb am 27. Dezember 1969.

Zwölf Jahre später beschloss der Steyr Gemeinderat eine Sackgasse in Steyr-Gleink nach ihr zu benennen. Sinnigerweise gleich neben einem Buchzensor. Der Namensgeber der Johann Mayrhofer Straße war beim „K. K. Bücher-Revisionsamt“ im Rahmen der staatlichen Zensur des Metternich-Regimes tätig.


Danke für Informationen an Renate Reibnegger, Margot Schmidl und Markus Pöllhuber.
[i] Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1962 in einer Würdigung zu Zelenkas 70. Geburtstag, S. 102.
[ii] Dutzler K.: Die Herkunft der Steyrer Straßennamen in den Stadtteilen Dornach-Gleink, Ort, Resthof, Stein, Tabor und Taschlried. Diplomarbeit an der Karl-Franzens-Universität. 2011. S. 87 ff.
[iii] Amtsblatt Stadt Steyr. Juni 1961.
[iv] In: Wutzl O.: Literarisches Oberösterreich. 1963.
[v] Kronsteiner E.:  Steyrdorf. In: Oberösterreichische Heimatblätter. 1995. Heft 2.
[vi] Steyrer Pioniere.
[vii] Oberdonau Zeitung. 26.1.1944. S. 3.
[viii] Kronsteiner E: Steyrdorf. In: Oberösterreichische Heimatblätter. 1995. Heft 2.
[ix] Steyrer Adressbuch 1927/28.
[x] Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1962. S. 102.
[xi] Oberdonau Zeitung. 26.01.1944, S. 3.
[xii] Begsteiger H.: Häuserchronik der Stadt Steyr. Abschnitt Steyrdorf. 2010, S. 258.
[xiii]  Steyrer Pioniere – jedoch mit dem falschen Vornamen „Karl“ statt „Johann“

Kommentare für “Denkwürdiges #21 Anna Zelenka – Lehrerin, Köchin und nicht nur Heimatdichterin

  • Lieber Christoph,
    danke!
    Schön geschrieben… und der Vergleich mit der Produktionsschule sehr zutreffend….
    Ich habe selbst 30 Jahre in Steyrdorf gelebt und bin sehr oft an dem Haus vorbeigegangen, da ich nicht unweit wohnte. Schön, wenn man die Möglichkeit bekommt auch hinter den Kulissen zu blicken.

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