Unterwegs mit Marco Vanek von Planet Reisen – Reiseclub für Grün-Bewegte beginnt eine Entdeckungswoche in Serbien am Flughafen Wien beim – wie sinnbildlich – Zugang Ost. Gereist wird terrestrisch mit dem FlixBus nach Belgrad.

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Zuerst erkunden wir die Spuren der städtischen Moderne und des Brutalismus, der das schon vor dem Zweiten Weltkrieg, aber insbesondere ab 1948, städtebaulich von Grund auf entwickelte Neu Belgrad mit Wohnprojekten für abertausende JugoslawInnen prägte.

Heute finden sich im Stadtbild der serbischen Hauptstadt  viele, zum Teil gigantomanische Investorenprojekte. Auf Fragen, warum denn fertig gebaute Wohnblöcke leer stünden, höre ich verärgerte Geschichten über Privatisierung von Bauland, „Parked Money“ und „graues bis schwarzes Geld“ – ich verstehe! Neoliberalismus in Reinkultur, Korruption, Mafia.

Auch der in den 1960er Jahren errichtete Avala Fernsehturm ist dieser Architekturschule verpflichtet – 1999 im Zuge des Kosovokriegs durch NATO-Angriffe zerstört, von 2006 bis 2009 originalgetreu wieder erbaut.

Der junge Bogdanovic (mehr auch hier) arbeitete zwar am modernistisch ausgerichteten Institut für Urbanistik, verweigerte sich aber deren Stadt- und Wohnungsplanungen. „Meine Veröffentlichungen versetzten die frischgebackenen Halbmodernisten in Unruhe und bewirkten ein wüstes Durcheinander … oder `Die Qualitäten des Ornaments´ mit einer Anti-Loos-These zur Verteidigung der, heute würde man sagen, semantischen Würde des ornamentalen Zeichens. Darin erwähnte ich die biologische, aber auch erotische Energie der architektonischen Ausschmückung. … Meine Ideen waren neuromantisch und trotzig“ (Bogdanovic B., Der verdammte Baumeister. Wien 1997, S. 113ff.).

Das spiegelt sich auch in einem seiner Frühwerke in unmittelbarer Nähe des Fernsehturmes – eine Mitarbeitersiedlung für Beschäftigte des nationalen Hydrotechnischen Instituts. „Ich ließ im Geiste einer surrealistisch architektonischen Mär aufgedunsen Giebelmauern der Doppelhäuser bauen, die den Silhouetten seltsamer Wesen ähnelten. … hatte auch viel Leidenschaft in die Skizzierung und Modellierung der Schornsteine investiert, die schon meine persönliche Obsession waren. … der Schornstein …. ist ein Würdenträger in der Gesellschaft der architektonischen Formen“ (ebd., S. 115f.). Mich erinnert es ein wenig an eine Filmkulisse für Herr der Ringe.

In Belgrad bleiben wir beim Schaffen Bogdanovic‘ unmittelbar nach der Befreiung Belgrads und dem Wiederaufbau der zerstörten Stadt. Am Jüdischen Friedhof schuf der jugoslawische Architekt die erste seiner vielen Gedenkstätten – hier erinnernd an die fast völlige Auslöschung der jüdischen Gemeinden durch die Nazis. Verwendet wurden dazu auch Reste der kriegszerstörten Wohnhäuser.

Auf der anderen Straßenseite erinnert seine „Allee der vernichteten Patrioten während der Besetzung 1941- 1944“ an die ermordeten WiderständlerInnen, Oppositionellen und PartisanInnen.


Unter den vielen Symbolen stechen die stilisierten Laternenpfähle hervor, die von den deutschen Besatzern als Galgen in der Innenstadt Belgrads benutzt wurden.

So wie es Bogdanovic zeitlebens durch Jugoslawien trieb, um Gedenkstätten, Denkmäler und Nekropolen an Plätzen der Nazigrauen zu bauen, reisen wir in den Süden nach Nis. Hier ist unser Ausgangspunkt für weitere Architekturexpeditionen. Wir ahnen es schon in Belgrad: Reisende können sich vom exzellenten System an Stadt- und Überlandbussen überzeugen. Die Linien sind privatisiert, die Infrastruktur in den Städten profitiert von den jugoslawischen, am Gemeinwohl orientierten Planungen. So sieht in der Hauptstadt der große Busbahnhof mit Informationsschalter, Kassenhalle, Warteräumen und einer – besonders wichtig – schattigen und durch natürliche Zirkulation gekühlten Säulenhalle mit Shops zum Ankommen und Verweilen bis zur Abfahrt aus.

Beeindruckend und auf ihre Weise schön: Station in Aleksinac. Der Fotostopp wurde fast zur versäumten Weiterreise.

An allen Rieshalten die Busstationen – klug funktional und zumeist optisch spannend. Hier in Nis ….

… und auch in Leskovac

Dort betreten wir den hunderte Meter langen – von Bogdanovic als Revolutionsdenkmal gestalteten – Spomen Park durch ein mich asiatisch anmutendes Holztor (Reisegefährte Gunter sieht den Bezug aber zu rumänischen Holztoren, wobei er wohl richtiger liegt als ich).

Am Ende eines befestigten Wald- und Wiesenwegs ist eine, wie der Literat und Architekturkritiker Achleitner es beschreibt, „kreisförmige Arena mit einer exzentrisch gestellten, zwölf Meter hohen steinverkleideten Amphora, als weibliche Figur erkennbar … (umliegend) stehen acht … Prismen mit reliefartigen floralen Ornamenten“ (Achleitner F., Den Toten eine Blume. Wien 2013, S. 86). Daneben dreißig weitere gestaltete Steine wie in türkischen Friedhöfen in Gruppen angeordnet. Eine „verschlüsselte, vieldeutige Symbolik, aber ein sehr stimmungsvoller Ort“ (ebd.), der selbst in der Mittagshitze mystisch wirkt.

 

15 km entfernt auf einem Hügel über der Kleinstadt Vlasotinceist ein Amphitheater mit einem turmartigen Wächter voller rätselhafter Symbole – das alles umgeben von Granitrohlingen mit Verzierungen zwischen „floralem Ornament und Piktogramm“ (ebd.). So gestaltete Bogdanovic diese Kultstätte für gefallene Freiheitskämpfer – ein meditativer Ort.

In Zentrum von Krusevac treffen wir (wieder) auf ein „Masterpiece“ jugoslawischer Moderne – heute  „the Cube“ genannt. Mehr aus dieser Zeit zum Nachlesen – hier.

In einem Landschaftspark außerhalb der Stadt finden wir „Slobodiste – symbolische Nekropole mit Freilichtbühne“. Vorbei am verfallenen (es gibt anscheinend Sanierungspläne) Informationszentrum – bewacht von einer Eule Bogdanovic‘ – und durch ein steinernes Kreistor betreten wir den wieder mystischen Ort. Links ist in einer künstlichen Senke das „Tal der Lebenden“ als rudimentäres Freilufttheater. Rechts führt der Weg zum „Tal des Gedenkens“ mit zwölf – man könnte sagen schmetterlingsartigen – Steinen, die sich am Hang hinauf in den Himmel zu erheben scheinen. Die Schönheit des Orts lässt fast vergessen, dass hier 1600 Menschen von unseren Großvätern in der deutschen Wehrmacht aus Rache ermordet wurden und 600 bestattet sind.

Im Mittelpunkt ein Mühlstein mit typischer Kalligrafie: „Wenn du unter diesem Himmel stehst, Mensch, dann richte dich auf.“

Letzte Station: Knjazevac mit dem Denkmal für die Gefallenen der Befreiungskriege 1804–1945. „Eine Stadt in der Stadt, eine Stadt der Toten als lebendige Gedenkstätte“, schreibt Achleitner nach einem Besuch vor Ort (ebd., S. 92). Bogdanovic zeigt, dass er auch Urbanist und Stadtplaner sein kann. Er schuf einen Erinnerungsort, der zwischen chinesischer Gartenkultur und muslimischem Friedhof changiert – und wieder monumentalisiert er den Tod nicht und gedenkt ohne Pathos.

Bogdanovic wäre ohne Moderne, insbesondere dem Surrealismus, wahrscheinlich nicht der Architekt, der er ist. Aber er ist es, weil er sich mit seinen Steinen und floralen Mustern, den mehr- oder uneindeutigen Symboliken der herrschenden Lehre und der ideologischen Staatspraxis des ehemaligen Jugoslawiens versagte. Ganz der Kommunist, der Mystiker ist er. Insofern sei zurechtgerückt, bei der Unzahl an Denkmälern und Erinnerungsorten in Serbien sowie im damaligen Jugoslawien (mit der zumeist eindeutigen, wenn nicht platten Gestaltung) sind Bogdanovic‘ Bauwerke – bei aller Schönheit und architektonischer, künstlerischen Exzellenz – die Minderheit, die Ausnahme.

Zum Nachtrag noch einige mir bemerkenswerte Fundstücke – nochmals Busstationen, jugoslawische Moderne, optische Highlights und – im Serbien des Jahres 2022 unübersehbar – nationalistische Blödheiten.

Kommentare für “Urbane Moderne, Brutalismus und Bogdan Bogdanovic – Entdeckungen im alten Jugoslawien

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