Der Altjahrestag 2021 war für mich einer, frei nach Andre Heller, wie damals als damals noch damals war. Ich machte mich auf zu einer Reise in den Böhmerwald, zu den Orten und Plätzen an denen die Vorfahren von Leopold Jungwirth, von meinen Großvater, lebten. Oder anders, ich besuchte meine UrUrUr…Großeltern.

Zuerst dorthin, wo alles begann oder zumindest das begann, was ich heute weiß. 1600 wurde in Parkfried (heute: Bèla, am Beginn des Moldaustausees) Matthias Jungwirth geboren, 35 Jahre später sein Sohn Michael – beide waren mit einer Elisabeth verheiratet und zeitlebens Inmanne, also Häusler ohne eigenen Besitz.

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Michael war zwischenzeitlich in Berneck (heute: Pernek, Moldaustausee). In diesem sieben Kilometer entfernten Weiler wurde Anton 1667 (als eines von zehn Kindern) geboren und arbeitete als junger Mann bei seinem Paten als Knecht.

1691 heiratete Anton Sabine Kindermacher, pachtete – ein paar Dörfer weiter – in Hintring (heute: Záhvozdi und nur eine lose Ansammlung weniger Gebäude) ein (mutmaßlich) kleines Haus und war Wagner, also Wagenmacher.

Dreißig Jahre später, 1720, zogen sie zehn Kilometer nach Wallern (heute: Volary). Der Ort war die größte Säumerstation am „Goldenen Saum“, seit dem 14. Jahrhundert ein Karawanenweg nach Passau. Insofern machte es Sinn, dort als Wagenmacher zu sein. Nur, zur Zeit Antons war diese Wegstrecke schon unbedeutend. Die Barockkirche wurde so wie sie heute dasteht 1690 eingeweiht, die Friedhofskapelle dann 1709 und auch die Holzhäuser stammen aus diesen Jahren. Ich konnte also dieselben Gebäude wie Anton vor 300 Jahren sehen.

Der Sohn Lorenz Jungwirth lebte spätestens ab 1722 in der Schwarzenbergermühle (auch: „alte Glashütte“; Schwarzenberg am Böhmerwald; heute eine museale Leinölpresse) und zog mit Sophia Scheiblberger in dem kleinsten, ärmlichen Hause zwölf Kinder auf. Als ich im nebenan liegenden Hotel Bergkristall nach der Mühle fragte, schenkte mir der freundliche Wirt Christian Eisner ein Fläschchen dort gepressten Leinöls.

Das neunte Kind, der 1734 geborene Gregor, wurde vom Abt des Stiftes Schlägl gefördert, war dort Kammerdiener und Bäcker. Er gründete als Frater Anton Jungwirth mit 32 Jahren eine Einsiedelei im Heimatort Schwarzenberg (20 Minuten zu Fuß vom Elternhaus entfernt, wie ich bei einem kleinen Spaziergang erfahren konnte).

Nach einigem Streit mit der Obrigkeit gründete Frater Anton mit den Schwarzenbergern die Pfarre und baute mit an der heute noch erhaltenen Kirche, dem (mittlerweile neugebauten) Pfarrhof und der (später um einen Stock erweiterten) Schule (heute: A. Stifter Museum). Mehr dazu ist hier erzählt.

1785 heiratete der – dann ehemalige – Frater die Pfarrersköchin Eleonore Schauberger und kaufte 1791 mit ihr das Bürgerhaus Rohrbach Nr. 16, das sogenannte „Jungwirth Haus“ (heute: Rohrbach Stadtplatz 29). 1799 wurde die beiden zum achten Mal Eltern, Anton war da schon 65.

Sohn Anton (*1793) war zweimal verheiratet (Anna Maria Sonnleitner und Josepha Bär – gemeinsam 16 Kinder). Ab 1812 war er Eigentümer des Hauses Rohrbach 40 (heute: Stadtplatz 36) und dort (nach seiner Tätigkeit in einer Mühle in St. Stephan) „Grießler“.

1825 kaufte er mit seiner zweiten Frau Josepha das Haus Rohrbach 26 (heute: Stadtplatz 33). Sie betrieben ein Gasthaus – der erste Jungwirth zumindest dieser Linie, der Wirt war. Es scheint das Wirtshaus zum Namen gekommen zu sein und nicht umgekehrt.

In der nächsten Genration kam 1819 wieder ein Anton zur Welt. Dieser heiratete Rosina Prieschl in Altenfelden. Er war spätestens ab 1848 Wirt und vermutlich Bäcker in Kirchberg ob der Donau. In diesem Jahr kam sein erster Sohn zu Welt, der dann das Gasthaus in Kirchberg Nr. 10 (heute Gasthaus Koblmüller) fortführte und Vater meines Großvaters Leopold (*1893) wurde. Leider war am Silvestertag  geschlossen. Ich musste das Haus in der einbrechenden Dunkelheit von außen fotografieren und auf ein Bier verzichten.

Leopold lebte im Ersten Weltkrieg notgedrungen an vielen Orten Europas, war dann wieder in Kirchberg und auf Saisonarbeit in der Schweiz, in Vorarlberg und Tirol. Nach einem Intermezzo in Linz zog er mit seiner Frau Ida, Sohn (mein Vater) Hermann (*1933) und Tochter Karoline für die Zeit des Zweiten Weltkrieges nach Untermühl an der Donau. Am Platz des Hauses – in dem sie eine kleine Mietwohnung hatten – ist heute das Staubecken des Donaukraftwerks. In Untermühl findet sich nur ein „Marterl“, das einmal – so will es unsere Familienerzählung – direkt bei der Wohnstätte der Jungwirths stand. Ein nächtliches Foto rundete die Reise zu meinen Vorfahren ab.

Nach 1945 zog die Familie in ein Wohnlager der Voest, bevor mein Elternhaus in Langholzfeld gebaut wurde. Aber das ist eine andere Geschichte.

Kommentare für “Silvester 2021, der Tag als ich meine Vorfahren besuchte

  • Gunter Kleinberger :

    Ein hochinteressante Reise, die es wert ist im Club erzählt zu werden. Ich lese gerade das Buch „Nachbaren“ Ein Österreichisch-Tschechisches Geschichtsbuch, das von tschechischen und österreichischen Historikern, das nach einer mehr als 10 Jährigen Forschungsarbeit und zahlreichen Symposien entstanden ist. Hochinteressant!

  • Sehr interessante Geschichte, sehr gut und kurzweilig verfasst!
    Über meine Vorfahren weiß ich leider nichts, nur dass mein Urgroßvater väterlicherseits Zimmermeister in Gutau im Mühlviertel war.
    Eine Suche in den Taufregistern war nicht wirklich erfolgreich – dazu müsste man das Geburtsjahr und den Geburtsort der betreffenden Personen kennen.
    So wird also die Herkunft meiner Vorfahren im Dunklen bleiben.

    • Ingrid Schuster :

      @Ulrike: wo wurde denn der Urgroßvater getraut? Bzw wo der Großvater/Großmutter getauft und wann? So könnten Sie weitersprachen. In den Einträgen sollten Infos zu den Ururgroßeltern vorhanden sein

  • Hochinteressant, zufällig kommt mein Urgroßvater auch aus Johann Jungwirth (Schmiedemeister) auch aus Kirchberg ob der Donau und hat auch Wurzeln nach Böhmen. Vielleicht gibts da eine Verbindung?

  • Wilfried Kleser :

    Meine Frau (Joan Hinschberger) hat ihre Familie erforscht zurück von Canada, nach dem Elsass (Enchenberg) und möglich bis nach Österreich.
    Da blieb sie stecken. Und hat ein paar fragen:
    1) Gibt oder gab es einen Ort „Hinsberg“
    2) Gibt es noch Hinschberger in „Österreich“

    Sie bedankt sich herzlich für jede Auskunft.

    Joan Hinschberger Kleser, Canada

  • Hallo, auch finde die Geschichte klasse. Ist wirklich sehr schön geschrieben, möchte auch sehr gerne in die Heimat meiner Eltern fahren und solch tolle Erlebnisse mitbringen. Ich war zwar vor 15 Jahren bereit in Tschechien, aber nicht mit dem heutigen Wissen.
    Meine Eltern kommen beide aus dem Böhmerwald, meine Mutter aus Hirschbergen und mein Vater aus Schneidetschlag. Meine Mutter hatte auch Verwandtschaft in Wallern und es gibt auch den Namen Jungwirt in unserer Familie. Soviel ich weiß seitens meines Großvaters. Seine Mutter war eine geborene Jungwirt verh. Tanzer.
    Vielleicht gibt es eine Verbindung. Herzliche Grüße Heidi Pangerl

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